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Aufruhr im Land der Gastfreundschaft
Aufruhr im Land der Gastfreundschaft
Von Rudolph Chimelli Der Jemen ist bettelarm, gibt aber knapp die Hälfte seines Staatsbudgets für Waffen aus. Die Machtkämpfe schaffen ein Klima für Geiselnahmen. Stammeskrieger in Jihana, im Süden von Jemens Hauptstadt Sanaa. Mächtige Clans, Schiiten, der einst sozialistische Süden – sie alle werden von der Zentralregierung mit massiver Militärpräsenz zusammengehalten – immer wieder flackern Konflikte auf. Foto: dpa Keine Gärten mehr, kaum Bäume, nur noch wenig Grün. Die Hochfläche um die jemenitische Hauptstadt ist zugebaut bis an die Berghänge. Nichts ist geblieben vom filigranen der Wohntürme der alten Stadt. In endlosen Vierteln reihen sich trostlose Bauten, Geschäftsstraßen mit Autohändlern, Elektronik oder Stilmöbeln, protzige Amtsgebäude, Schnellstraßen – alles ohne urbanistische Ordnung. In den 60er-Jahren war Sanaa ein architektonisches Juwel mit 80000 Einwohnern. Das ist die ummauerte Altstadt immer noch, inzwischen von der Unesco dem Weltkulturerbe zugeschlagen. Der Rest wurde zu einem Moloch von 2,3Millionen Bewohnern, wahrscheinlich mehr. Niemand weiß es genau. Damals gab es kaum Strom, nur wenige geteerte Straßen, der Rundfunk sendete ganze eineinhalb Stunden am Tag. Sanaas Flugplatzgebäude war nicht größer als ein Bahnwärterhaus, und wenn sich selten eine Propellermaschine näherte, mussten die Esel von der Landebahn verscheucht werden. Bezahlt wurde vielfach noch mit silbernen Maria-Theresia-Talern. Hotels existierten nicht. Sie wurden auch nicht gebraucht: Wer als Fremder erkennbar war, wurde von gastfreundlichen Jemeniten an der Hand gefasst, ins Haus geführt und, wenn er sich nicht mit triftigen Gründen entschuldigen konnte, drei Tage bewirtet. Der Mokka-Hafen liegt verödet Sanaa sei früher viel schöner gewesen, sagt Sami Ghaleb, Chefredakteur der Zeitung Al-Neda. Doch die wahre Bedrohung kommt nicht aus der horizontalen Ausdehnung, sondern aus der Tiefe. „Es ist kein Wasser mehr da, nicht allein in Sanaa, im ganzen Jemen“, sagt der Journalist. Die alten Gärten waren sparsam bewässert worden, mit einem Terrassensystem, das von der antiken Kultur der Sabäer übernommen war. Jetzt wird rücksichtslos gepumpt, denn subventionierter Diesel ist billig. Als ein Franzose sich vor 13 Jahren in Sanaa niederließ, floss das Grundwasser 16 Meter unter seinem Haus. Seither ist es auf minus 600 Meter gefallen. Stellenweise liegt es schon 1200 Meter tief. Und aus 10000 Tiefbrunnen wird rund um die Uhr gefördert. Arabia Felix – so nannten die Römer das Land wegen seiner grünen Berge und großen Oasen – legt sich selber trocken. Ständig sind private Tankwagen unterwegs, um das begehrte Wasser aus dem Umland in die Häuser zu liefern. Mindestens ein Drittel wird zur Bewässerung von Kat-Sträuchern verbraucht, dessen leicht berauschende Blätter Jemeniten am Nachmittag kauen. Einst war das Land die Heimat des Kaffees. Aber Kat bringt dem Erzeuger fünfmal mehr und macht weniger Arbeit. Der Kaffee-Hafen al-Mocha am Roten Meer ist längst verödet. Den Mokka aus Mocha gibt es nicht mehr. Fantasten reden von Atomkraftwerken zur Meerwasser-Entsalzung, gebaut und gestiftet vom Ausland. Doch das destillierte Wasser müsste über 3000 Meter hohe Berge in das 2200 Meter hoch liegende Sanaa gepumpt werden. Und niemand denkt daran, einem Land Atomkraft zu geben, das bei seinen amerikanischen Protektoren zwar noch nicht als „Gescheiterter Staat“ gilt wie Somalia auf der anderen Seite des Meeres, dessen „Somalisierung” aber befürchtet wird. Präsident Ali Abdullah Salih, seit 31 Jahren an der Macht, hat eine riesige Moschee bauen lassen, mit sechs Minaretten wie an der Blauen Moschee in der Sultans-Hauptstadt Istanbul. Sieben Minarette darf nur Mekka haben. In der Nähe liegt sein Paradeplatz, dem Gelände in Kairo nachempfunden, auf dem 1981 Ägyptens Staatschef Anwar el-Sadat erschossen wurde. Salih hat daraus gelernt. Er sitzt auf seiner Tribüne hinter Panzerglas. Zuletzt ließ er im Mai 30000 Mann vorbeimarschieren: Panzer, Artillerie, Raketen, überwiegend neue Waffen russischer Herkunft. Für seine Armee gibt Salih 40 Prozent des Staatsbudgets aus. Ein Teil steht unter dem Kommando seines Halbbruders Ali Muhsin. Die Republikanische Garde, zu der auch die Anti-Terror-Einheiten gehören, führt sein Sohn Ahmad. Der Präsident kommt nicht aus einem der mächtigen Stammesverbände, sondern ist ein Soldat aus einfachen Verhältnissen. Die Wahlen, die im April fällig gewesen wären, ließ er durch das Parlament um zwei Jahre verschieben. Sein eigenes Mandat wurde gleichzeitig verlängert. Er hat die Unterstützung Washingtons und der EU. Gorbatschow hat nur gelacht Gefeiert wurde mit der Parade im Mai der 19. Jahrestag der Wiedervereinigung beider Jemen. Tatsächlich handelte es sich mehr um eine Annexion der marxistischen Volksrepublik Südjemen durch den Nordjemen. Sie hatte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kein Stehvermögen mehr. „Wollt ihr gegen Saudi-Arabien Krieg führen?“, lachte Sowjet-Präsident Michail Gorbatschow seinerzeit die Emissäre aus Aden aus, als sie Panzer wollten, um sich gegen die Übernahme durch den Norden zu wehren, so berichtet Professor Mohammed al-Mutawakel von der Universität Sanaa. Seit April ist der Süden wieder im Aufruhr. Fast täglich kommt es zu Zusammenstößen. Erst letzte Woche starben vier Soldaten in der Provinz Abyan östlich von Aden in einem Hinterhalt. In der Woche davor wurden zehn Demonstranten und sechs Polizisten bei Zusammenstößen in Dschinsibar, gleichfalls östlich von Aden, getötet. Hunderte Demonstranten sitzen in Haft. Der südliche Landesteil, in dem nur vier Millionen Menschen leben, hat das Erdöl, die Fischerei, den Hafen und die Raffinerie von Aden – insgesamt drei Viertel der Reichtümer des Landes. Aber die 20Millionen Nordjemeniten bestimmen alles. Im Süden fühlt man sich kolonisiert, ausgebeutet. Schon 1994 kam es unter Führung des sozialistischen Vizepräsidenten Ali Salem al-Beidh zum Sezessionskrieg, in dem der Norden nach 50-tägigen, harten Kämpfen siegte. Jetzt ruft al-Beidh, der im Exil in Oman lebte, erneut nach Trennung. Demonstranten richteten symbolisch Schlagbäume an der früheren Grenze auf. Eine ganze Reihe von Gruppen habe sich zur Bewegung des Südens zusammengeschlossen, kurz „Harak“ genannt. Den im Ausland am wenigsten beachteten Kollateralschaden erleidet die Presse. Jemens Zeitungen gehörten zu den freiesten der arabischen Welt. Seit Beginn der Unruhen wurden ein halbes Dutzend zeitweilig geschlossen. Ghaleb, der Chefredakteur von al-Neda, steht wegen seiner Reportagen über Korruption vor einem Presse-Sondergericht. „Der Staatschef ruft nach Dialog, aber der Dialog findet im Gefängnis statt“, beklagt sich ein Kolumnist. Solange sie den Staatschef nicht direkt angriffen, konnten die Medien Missstände bisher offen kritisieren. Das ist vorbei. Über dem Wadi Dhar setzt eine MiG zum Landeflug auf Sanaa an. Das Sommerschloss des einstigen Herrschers hier im fruchtbaren Tal, das wie die natürliche Fortsetzung eines Felsens in den Himmel ragt, sieht aus, als wäre es eine Burg aus dem Mittelalter. Tatsächlich ist es in seiner jetzigen Form bloß 80 Jahre alt. Andere Schlösser des Despoten wurden abgerissen oder verfallen. Wadi Dhar ziert als Nationaldenkmal Geldscheine und Briefmarken. Eine Viertelstunde später zieht das nächste Kampfflugzeug über die Steilwände des Wadi, bald darauf ein drittes. Alle haben die Raketen verschossen, von denen Jemeniten versichern, beim Start hingen sie regelmäßig unter den Tragflächen. Doch die Maschinen kommen nicht aus dem rebellischen Süden, sondern von Norden. Drei Waffen pro Mann Dort ist im Bergland zwischen Saada und der Grenze zu Saudi-Arabien seit fünf Jahren ein Krieg zwischen der schiitischen Minderheit der Zaiditen und der Zentralregierung im Gang. Nach dem Prediger Badruddin al-Huthi und seinen Söhnen, die den Aufstand anführen, werden die rebellischen Stammesleute „Huthis” genannt. Die Armee hat in dem Kleinkrieg schon mehr als 1000 Mann verloren, die Huthis ein Vielfaches. Zehntausende Stammesleute sind aus ihren Dörfern geflohen. Das Militär setzt Panzer ein, Artillerie – und offenbar Flugzeuge. Die Realisten unter den Huthis wären zufrieden mit der Wiederöffnung ihrer eigenen Schulen, die von der Republik geschlossen wurden, mit einer gesonderten Verwaltung samt Polizei für ihr Gebiet, mit der Freilassung ihrer Gefangenen. Die Zaiditen sind ein kleiner Seitenzweig der Schia, deren Hauptrichtung Iran und Irak beherrscht. Ihr Aufstand entzündete sich an Korruption und nicht zuletzt an Salehs pro-amerikanischer Politik. Sie agitieren mit dem Schlachtruf „Tod Amerika, Tod Israel!“, was ihnen den Argwohn einbrachte, sie würden von Teheran unterstützt. Mit Entrüstung wehren sich die Zaiditen gegen die Unterstellung, die Entführer von sieben Deutschen, eines Briten und einer Südkoreanerin am 12. Juni kämen aus ihren Reihen. Das Land hat 60 Millionen Schusswaffen, drei für jeden erwachsenen Mann, aber wenig zivile Kriminalität. Selten wird gestohlen oder betrogen. Verdacht richtet sich gegen sunnitische Extremisten, die an den protestantischen Fundamentalisten aus dem Westen ein grausames Exempel statuieren wollten. Die beiden getöteten Deutschen, Anita G. und Rita S., hatten naiverweise Missionsgespräche mit Jemenitinnen geführt. Das konnte nicht gut gehen. Auch als möglicher Racheakt für die Verhaftung eines wichtigen Geldgebers der jemenitischen al-Qaida, Hassan Ibn Alwan, wird die Entführung bezeichnet. [فقط الأعضاء المسجلين والمفعلين يمكنهم رؤية الوصلات . إضغط هنا للتسجيل] |
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